Holger Seehusen ist Mitglied des Militzer & Münch Group Management und Geschäftsführer der M&M air sea cargo GmbH, Deutschland. Dank seiner 30 Jahre Erfahrung in der Logistikbranche kennt er insbesondere den Markt in Asien sehr genau. Im Interview erklärt er, warum sich das Geschäft der Militzer & Münch Gruppe in den vergangenen Monaten gut entwickelt hat, und warum er es als Privileg empfindet, in der Logistikbranche zu arbeiten.
Herr Seehusen, Sie verantworten das Air & Sea Geschäft von Militzer & Münch. Wie haben sich die beiden Bereiche in diesem Jahr entwickelt?
Holger Seehusen: Seit 2018 bin ich von unserem Standort Frankfurt aus für die Air & Sea-Aktivitäten in Deutschland zuständig. Als Mitglied des Militzer & Münch Group Management verantworte ich zudem die Produktentwicklung des Bereichs Air & Sea weltweit. Die Produktentwicklung in unserer dezentral organisierten Unternehmensgruppe treiben wir unter dem Anspruch eines gemeinsamen Ansatzes und einer entsprechenden Umsetzung voran. Dazu zählt auch, in den einzelnen Landesgesellschaften eine gewisse Überzeugungsarbeit zu leisten. Aktuell befassen wir uns in diesen Geschäftsfeldern mit unterschiedlichen Projekten. Insbesondere steht hier das Thema Nachhaltigkeit im Vordergrund. Offen gesprochen ist das eine ganz spannende Aufgabe.
Vergangenes Jahr, nach den schwierigen Monaten wegen COVID-19 im Frühjahr, war die Geschäftsentwicklung im Bereich der Air & Sea-Aktivitäten, aber insbesondere auch die der Rail-Verkehre sehr zufriedenstellend. Diese überaus positive Entwicklung hat sich im laufenden Geschäftsjahr fortgesetzt. Unter anderem dank der Umstrukturierungen in den vergangenen Jahren waren wir zu Beginn der Pandemie bereits gut aufgestellt und haben die vorübergehende Unsicherheit in der Branche gemeistert. In den vergangenen Jahren haben wir einiges in unser Tradelane-Management für die Regionen USA, Asien und Indien investiert, einen Standort in Malaysia eröffnet, und damit wichtige Weichen für weiteres Wachstum gestellt. Trotz der allgemeinen positiven Stimmung in der Branche dürfen wir uns meiner Meinung nach nicht von den derzeit guten Ergebnissen blenden lassen. Herausforderungen wie Digitalisierung, Nachwuchskräfte, Nachwuchsförderung, Reduzierung der CO2-Emissionen bei der Transportabwicklung und der daraus resultierenden Verschiebung der Beschaffungsmärkte sind Themen, die wir auf der Agenda haben. Die Antworten dazu sind richtungsweisend für die Zukunft unserer Industrie.
Was unterscheidet Militzer & Münch vom Wettbewerb?
Holger Seehusen: Militzer & Münch ist ein Familienunternehmen, unser Selbstverständnis ist mittelständisch geprägt. Das bedeutet für mich, dass wir eine große soziale Verantwortung unseren Mitarbeitenden gegenüber haben – vermutlich mehr als das bei anderen großen Unternehmen der Fall ist. Flache Hierarchien geben uns Spielraum, Ideen umzusetzen. Die Kolleginnen und Kollegen lernen früh, selbst Verantwortung zu übernehmen und einfach mal etwas auszuprobieren. Erfolg und Misserfolg hängen von einer offenen Kommunikation und einem konstruktiven Feedback ab, was dazu dient, die persönliche Weiterentwicklung als Führungskraft zu begleiten.
Die Kundenzufriedenheit hat für Militzer & Münch höchste Priorität. Wie steht es aktuell um die Zufriedenheit Ihrer Kunden?
Holger Seehusen: Vor der Pandemie haben wir eine Umfrage unter unseren Kunden gemacht – und damals war die Zufriedenheit groß. Angesichts der Knappheit auf allen Verkehrsträgern sieht das offen gesprochen aktuell etwas anders aus. Im Supply Chain Management sind die allgemeinen Rahmenbedingungen in der gesamten Branche aktuell nicht zufriedenstellend. Wichtig ist es, die Kunden frühzeitig zu informieren, falls ein Transport nicht wie geplant stattfinden kann. Insbesondere unsere Kunden aus der Textilbranche haben zum Teil straffe Verträge mit ihren Kunden – da zählt wirklich jeder Tag. Wir steigen sehr früh in den Dialog mit dem Kunden ein und versuchen alternative Transportwege und Lösungen anzubieten. Oft haben wir keinen Einfluss darauf, ob zum Beispiel ein Container später und an einem anderen Zielhafen als ursprünglich geplant ankommt. Der Weitertransport im Hinterland muss dann kurzfristig umgeplant werden.
In einigen Lagern an Flughäfen herrscht ein Rückstau von mehreren Tausend Tonnen. Lkw warten zum Teil 48 Stunden, bis sie ihre Sendungen laden können. Zwischenzeitlich gibt es Lkw-Unternehmer, die keine Transportaufträge im Zusammenhang mit Abholungen an Flughäfen annehmen. Teilweise sind die Sendungen zwar pünktlich eingetroffen, es dauert aber eine Weile, bis sie in den vollgepackten Lagern der Airlines und Handling Agents gefunden werden.
Neben den Transport-Engpässen stehen wir auch bei der Suche nach Fachkräften vor Herausforderungen. Seit den Anschlägen vom 11. September gelten sehr strenge Regeln für das Personal an Flughäfen – und das gilt auch für den gewerblichen Bereich im Umschlagslager. Wer dort arbeiten will, benötigt die Zuverlässigkeitsüberprüfung entsprechend des Luftsicherheitsgesetzes.
Gab es in den vergangenen Monaten neue Produkte im Air & Sea-Geschäft?
Holger Seehusen: Ein relativ neues Produkt haben wir gemeinsam mit unserem Tradelane-Management Greater China in Frankfurt und unserer Landesgesellschaft in China entwickelt: von China per Lkw über Kasachstan nach Europa, um unter anderem der Laderaumknappheit auf anderen Verkehrsträgern zu begegnen. Hier kommen uns unser Know-how und unsere eigenen Landesgesellschaften in Zentralasien zugute. Diese Transportalternative bieten wir unseren Kunden seit Ende 2020 mit wachsendem Erfolg an.
Zudem ist ein weiteres spannendes Projekt in Planung, und zwar ein Air-Truck-Service zwischen China und Europa. Von Shanghai soll es per Luftfracht in die kasachische Stadt Almaty gehen, und von dort per Lkw weiter nach Europa. Als Spediteur, der sich insbesondere mit Nischenmärkten auskennt, sind wir Experte für solch alternative Transportmodelle. Angesichts hoher Frachtraten und knapper Kapazitäten auf dem Seeweg ist dieses Produkt sicherlich eine attraktive Alternative für unsere Kunden.
Grundsätzlich dürfen wir von uns behaupten, dass wir das Potenzial des Schienenverkehrs zwischen Asien und Europa frühzeitig erkannt und verstanden haben. Die neue Seidenstraße hat weiterhin viel Potenzial für die Militzer & Münch Gruppe. Daher haben wir vor einiger Zeit den Bereich Rail unter der M&M air sea cargo GmbH angesiedelt. Ein vierköpfiges Team koordiniert von Düsseldorf aus alle unsere Schienentransporte.
Vom Standort Düsseldorf aus haben wir auch die Projektlogistik per Seefracht weiter ausgebaut. In Hamburg möchten wir im Bereich Luftfracht noch weiter wachsen, vor allem im Bereich AOG gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen in China. Zudem streben wir als Militzer & Münch Gruppe die GDP-Zertifizierung an, die Good Distribution-Practice, um unseren Service für Pharma-Unternehmen zu erweitern.
Seit einiger Zeit beschäftigen Containerknappheit und Transportengpässe die Branche – das spürt auch Militzer & Münch. Gab es Verschiebungen bei den Transportmitteln?
Holger Seehusen: Ja, absolut. Zum Beispiel mussten wir 40 Tonnen Stahl von Europa nach Mexiko fliegen – ein Transport, der vorher als Seefracht geplant war. Wir haben den großen Vorteil, dass wir alle Verkehrsträger abdecken und schnell alternative Lösungen anbieten können. Aber hier gilt: Wir müssen die Liquidität unserer Kunden und Partner im Blick behalten, die wiederum darauf angewiesen sind, dass ihre eigenen Kunden pünktlich zahlen. Einige Transporte waren lange im Voraus geplant, aber die Frachtraten schossen in die Höhe – und das ist nicht für jeden Kunden einfach zu stemmen. Wir müssen uns der finanziellen Risiken immer bewusst sein.
Sie sind schon lange in der Logistikbranche aktiv. Was fasziniert Sie daran?
Holger Seehusen: Seit 1991 bin ich in der Branche zu Hause. Bevor ich meine Tätigkeit im Jahre 2018 bei der Militzer & Münch Gruppe aufgenommen habe, bin ich mehr als 17 Jahre für das Unternehmen Rhenus Logistics in unterschiedlichen Verantwortungsbereichen und Regionen tätig gewesen. Dazu gehörten neben Deutschland spannende Aufgaben in den GUS-Staaten, aber insbesondere auch in Asien und viele Jahre dann in Südostasien, bevor ich mich 2016 entschieden habe, zurück nach Deutschland zu gehen. Nach meiner Rückkehr habe ich nach einiger Zeit festgestellt, dass es eben nicht mehr mein „zu Hause“ ist, und ich etwas Neues ausprobieren wollte. Trotz der langen Zeit in dieser Branche habe ich eine Menge Spaß und lerne auch heute noch jeden Tag dazu. Ich empfinde es offen gesprochen als Privileg, noch immer diesen Spaß und die tägliche Herausforderung zu haben – das treibt mich an. Ich denke, dass ich die Begeisterung auf die Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich unmittelbar zusammenarbeite, übertragen kann. Zumindest hoffe ich das, aber das kann mein berufliches Umfeld besser beurteilen.
Was würden Sie jungen Menschen raten, die eine Laufbahn in der Logistikbranche anstreben?
Holger Seehusen: Die Branche ist sehr vielfältig und bietet großartige Entwicklungsmöglichkeiten. Reizvoll ist vor allem auch die Internationalität, die uns oft einen anderen Blick auf die Dinge ermöglicht. Wer neugierig ist, kann die Chancen dieser Branche gut nutzen – und das hoffe ich eben mit meinem Führungsstil täglich zu vermitteln.
Wir als Branche sind gefordert, das Image und die vielfältigen Möglichkeiten des Berufsbilds weiter zu verbessern. Im Rahmen unserer Kooperation mit der Universität St. Gallen (HSG) sponsern wir zum Beispiel den jährlichen Supply Chain Innovation Day und haben als Unternehmen im September 2021 an einem Panel des Events teilgenommen. Das ist aus meiner Sicht genau der richtige Ansatz, als Unternehmen präsent zu sein und mehr junge Menschen für die Logistik zu begeistern.